Birgit Hoffmann empfiehlt:
Iris Wolff:
Lichtungen
Nominiert für den Deutschen Buchpreis 2024
Zwei Menschen reisen auf einer Fähre irgendwo im Mittelmeer.
Kato und Lev; sie zeichnet und er sieht ihr dabei zu.
Sie gehören offensichtlich zusammen, kennen sich wohl schon lange und kommen vielleicht aus demselben Ort… Lev hat Heimweh und möchte nach Hause, er will zurück und da sagt sie:
“Ich komme mit.“
So beginnt das erste Kapitel von Lichtungen, dem neuen Roman von Iris Wolff.
Allerdings ist es nicht wie angenommen der Anfang, sondern ein Ende. Denn es wird rückwärts ge- und erzählt. Der Leser/die Leserin wird nicht erfahren, was nach der Rückkehr geschehen wird, wohl aber Kapitel um Kapitel, was vorausgegangen ist.
Was ist und war, das ist die Liebe der beiden, die bis in ihre Kindheit in einem rumänischen Dorf in Siebenbürgen zurückreicht.
Damals war Lev durch einen Unfall lange ans Bett gefesselt und Kato auserkoren, ihn mit dem laufenden Schulstoff zu versorgen. Später, als es im häuslichen Umfeld von Kato Probleme gibt und sie die Schule verlassen muss, ist es Lev, der für sie da ist.
Beide könnten gegensätzlicher nicht sein. Kato, die talentierte Zeichnerin, blitzgescheit will nach der Revolution hinaus in die Welt, ist neugierig und packt die erste Gelegenheit auszubrechen beim Schopf.
Sie verlässt gemeinsam mit einem Fahrradtouristen das Dorf. Als Straßenmalerin reist sie durch die Welt und aus jeder Stadt schickt sie Lev eine Postkarte.
Lev hingegen ist tief verwurzelt, liebt die heimischen Wälder und (die meisten) Familienmitglieder.
Stück für Stück reisen wir in die Vergangenheit und tauchen in die Geschichte Rumäniens ein.
Gegen Katos Aufbruchstimmung und ihre Sehnsucht nach Neuem stehen Levs Verlusterfahrungen, denen er den Verlust der vertrauten Heimat, mit der er tief verbunden ist, nicht hinzufügen will.
Durch die umgekehrte Erzählweise wird eine enorme Spannung erzeugt. Das Ende des Kapitels ist der Anfang des vorherigen; das macht dieses Buch aus. Es ist die besondere Erzählweise, die uns immer tiefer in die Geschichte der Figuren eintauchen lässt.
Durch ihre einfache, poetische Sprache schafft Iris Wolff es, das Dorf und die Landschaften für uns zu erwecken.
Diese originelle Liebesgeschichte mit ihrer behutsamen, dichten Sprache ist auch ein europäischer Roman. Es wird viel gereist und jedes Kapitel endet mit einem wirklichen Cliffhanger.
»Dieser Roman lebt von einer unglaublich zärtlichen Sprache, die einem unter die Haut geht. Das ist ein ganz großes literarisches Kunstwerk. […] [Das Literaturjahr 2024 beginnt] mit Iris Wolffs ›Lichtungen‹ wirklich mit einem Paukenschlag.«
Denis Scheck, WDR 3, 08. Januar 2024
Klett Cotta
256 Seiten
24 Euro